Mit der Einführung des bundesweiten digitalen Fernmeldenetzes ISDN Anfang der neunziger Jahre drängt sich die Frage auf, welchen Nutzen ISDN hat, außer daß bekannte Telematikdienste schneller und besser in einem integrierten Netz vonstatten gehen.
Neue Möglichkeiten bietet die Realisierung von LAN-Funktionen über ein leitungsvermittelndes System[1]. Auf diesem Gebiet wird bereits seit Jahren am Lehrstuhl von Herrn Prof. Dr. Peter Schulthess gearbeitet. Ein neuerer Ansatz ist es, nicht nur einzelne LAN-Funktionen, sondern die Protokolle eines ganzen LAN auf eine ISDN-Struktur zu übertragen. Damit werden die Transaktionsdienste eines LAN über ISDN-Kanäle nutzbar.
Ziel einer Forschungsgruppe am Lehrstuhl für Informatik II ist es, die Leistungsmerkmale eines Arbeitsplatzrechners und verschiedener Kommunikationsgeräte in einem universellen ISDN-Endgerät zu vereinen. Diese Workstation auf Basis eines Apple Macintosh nutzt die Dienste des ISDN für die Abwicklung aller anfallenden Kommunikationsaufgaben. Anstelle einer Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationsgeräte findet der Benutzer nur noch ein einheitliches Gerät vor. Dank der intuitiven, grafischen Bedieneroberfäche des Macintosh wird der Benutzer nicht überfordert.
Abb. 2.1.1: Die Diensteintegration einer ISDN-Workstation
Diese Integration von Diensten in einer ISDN-Workstation verdeutlicht Abbildung 2.1.1. Neben den bekannten Telematikdiensten offeriert die ISDN-Workstation die Datenverarbeitungs- und LAN-Funktionen eines Personal Computers. Daher liegt es nahe, LAN-Dienste nicht nur, wie sonst üblich, auf einem lokalen Netzwerk zu betreiben, sondern ISDN-Verbindungen zur Übertragung von LAN-Paketen zu nutzen[2]. Die vorliegende Arbeit dient der Klärung der Fragen nach der Einbindung einer ISDN-LAN-Implementierung in den AppleTalk Protocol Stack und der Wahl einer adäquaten Verbindungssteuerung für die verbindungslosen AppleTalk-Protokolle:
Die Architektur der ISDN-Workstation basiert auf dem Macintosh Betriebssystem. Daher müssen die Kommunikationsdienste der ISDN-Workstation kompatibel zu vorhandenen Macintosh-Applikationen sein. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn die Einbindung der Kommunikationsdienste in das Betriebssystem und in den AppleTalk Protocol Stack vollständig gelingt. Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit beschäftigt sich daher mit der Einbindung eines neuen AppleTalk-Protokolls in die Systemumgebung des Macintosh. Aufgrund vielfältiger Wechselwirkungen der einzelnen Protokolle mit dem System und der mangelhaften Dokumentation, muß dieser Aufgabe besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Darüber hinaus beschäftigt sich diese Arbeit mit der Adressierung und Verbindungssteuerung bei der Abbildung von Transaktionsdiensten eines LAN von einer Busstruktur auf eine leitungsvermittelnde Sternstruktur. Diese Verbindungssteuerung muß den unterschiedlichen Kommunikationsaufgaben eines LAN gerecht werden. Besondere Schwierigkeiten entstehen durch die fehlende Broadcast-Fähigkeit einer ISDN-Struktur[3], da diese sich vor allem auf die Adressierung des LAN auswirkt. Geklärt werden muß auch die Frage, ob und in welchem Umfang durch den Wechsel von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen mehrere gleichzeitige Transaktionen und offene Sessions unterstützt werden können. Die Wahl einer adäquaten Verbindungssteuerung stellt eine wichtige Vorarbeit für die Implementierung einer Verbindungssteuerung der ISDN-Workstation über den D-Kanal dar.
Während bisher für leitungsvermittelnde Systeme, aufgrund der geringen Übertragungsleistung, lediglich der Zugriff auf Dateiübertragungsserver sinnvoll war, ermöglicht die Übertragungsleistung eines ISDN-Kanals von 64 kbit/s erstmals den Zugriff auf Fileserver[4]. Durch den Austausch der LINK-Ebene des AppleTalk wird, neben anderen Transaktionsdiensten, vor allem Remote Disk Access über das AppleTalk Filing Protocol (AFP) und AppleShare möglich (Abb. 2.2.1). Der abgesetzte Server läßt sich wie eine lokale Platte nutzen. Einziger Unterschied bleibt die längere Zugriffszeit.
Abb. 2.2.1: Das Schichtenmodell beim Remote Disk Access
Schließlich kann ISDN-AppleTalk die bisherige Drucklösung für Macintosh-Rechner über das V.24-Netz im Hause ersetzen. Bisher mußte mit jeder neuen Version des Druckertreibers die PAPA-Resource angepaßt werden[5]. Das bedeutete jedoch einen erheblichen Aufwand und wurde daher nicht immer durchgeführt. Neuere Applikationen drucken mit den modifizierten, älteren Versionen des Druckertreibers oft nicht fehlerfrei. Mit ISDN-AppleTalk entfällt diese Anpassung. Da das Printer Access Protocol (PAP) nicht mehr ersetzt werden muß, kann stets die neueste Version des Druckertreibers verwendet werden.
Lokale Netzwerke besitzen eine begrenzte Reichweite, die maßgeblich von der Qualität des verwendeten Übertragungsmediums[6] abhängt. Soll ein LAN-Verbund über weite Strecken realisiert werden, so sind heute lokale Netzwerke über Brücken und Modems miteinander verbunden. Aufgrund der geringen Übertragungsleistung und der hohen Unterhaltskosten von Modem-Verbindungen eignet sich ein derartiger Verbund nicht für übertragungsintensive Dienste, wie Drucken oder Remote Disk Access.
Abb. 2.3.1: ISDN-LAN-Verbindung von München nach Hamburg
ISDN besitzt eine wesentlich höhere Übertragungsleistung als heutige Modem-Verbindungen. Zusammen mit einem schnellen Verbindungsaufbau und einer Automatisierung der Verbindungssteuerung wird es künftig möglich, die Transaktionsdienste eines LAN über eine globale ISDN-Struktur zu nutzen. Vorhandene Telefonverkabelungen können verwendet werden, so daß geringe Anschlußkosten pro Station zu erwarten sind.
Alle Funktionen im ISDN-LAN werden vollkommen transparent ablaufen, so daß für den Benutzer eines LAN prinzipiell kein Unterschied mehr besteht, ob die Kommunikation über die lokale LAN-Verkabelung oder bei größeren Entfernungen über die leitungsvermittelnde Struktur des ISDN[7] stattfindet (Abb. 2.3.1). Dadurch wird es erleichtert, Dokumente direkt am Bestimmungsort auszudrucken oder in elektronischer Form zu übertragen. Heutige Telematikdienste werden dadurch voraussichtlich an Bedeutung verlieren.
Neben dem Einsatz des ISDN-AppleTalk in einer ISDN-Workstation finden die Erfahrungen, die im Zusammenhang mit dieser Arbeit gewonnen wurden, Eingang in die Entwicklung eines Link Access Protocols, welches es erlaubt, AppleTalk über Mehrpunktverbindungen zu betreiben (PluriLAN bzw. PluriLAP). Insbesondere der Verbindungsaufbau kann direkt übernommen werden. Auch die Einbindung in den AppleTalk Protocol Stack ist durch die vorliegende Arbeit geklärt. Die Paketübertragung muß allerdings um einen Algorithmus zur Kollisionsvermeidung und -erkennung ergänzt werden.
[1] Vgl. Froitzheim (LAN-Funktionen).
[2] Schulthess (Architecture of an ISDN-Workstation), S. 47 ff.
[3] Froitzheim (LAN-Funktionen), S. 181.
[4] Maroney (File Servers versus Disk Servers), MT 4.87, S. 73 ff.
[5] Vgl. hierzu Abschnitt 5.1.3.
[6] Faktoren wie die Signallaufzeit und die elektrische Störsicherheit haben Einfluß auf die Reichweite.
[7] Hier sollen die anfallenden Gebühren nicht berücksichtigt werden.